Bewegungen der Seele und des Geistes
Die Bewegungen der Seele
Dies war zu Beginn ein großes Wagnis und öffnete zugleich das Tor zu ganz neuen Dimensionen der Arbeit. Es erschlossen sich nun Ebenen, die zuvor nicht erreichbar gewesen sind. Im klassischen Familienstellen wurde mit den bekannten Informationen gearbeitet und wenn die Aufstellung stagnierte, weil Wissen über Personen oder Ereignisse aus der Familiengeschichte fehlten, wurde der Klient angehalten, sich zu erkundigen und dann wieder zu einer Aufstellung zu erscheinen.
Mit den freigegebenen Bewegungsimpulsen der Stellvertreter konnte man nun weit über das bekannte Wissen hinaus arbeiten. Dies erforderte allerdings eine besondere Umsicht des Aufstellungsleiters in mehrfacher Hinsicht: Es mussten Erfahrungen mit den Bedeutungen der sich zeigenden Bilder gesammelt werden und dort, wo man das Terrain gesicherter Informationen verließ, hieß es, besondere Vor-Sicht walten zu lassen. Durch vorschnelle Bedeutungs-Festlegungen kann eine Verunsicherung des Klienten ausgelöst werden, die sich dann im Nachhinein durchaus als ungerechtfertigt herausstellen kann. Mit den „Bewegungen der Seele“ kam Ende der 90er Jahre eine ganz neue, tiefgehende Ebene des Ausdrucks menschlichen und zwischenmenschlichen Bewegt-Seins hinzu.
Während die klassischen Aufstellungen eher direktiv und leiter-zentriert waren, bekamen die Impulse der Stellvertreter nun eine wesentlich größere Bedeutung. Für die Rolle des Aufstellungsleiters vollzog sich somit ebenfalls ein tiefgreifender Wandel: Die Stellvertreter hatten nun die Aufgabe, ihren körperlichen Empfindungen während des Aufstellungsprozesses genau nachzuspüren und die damit verbundenen Bewegungs-Impulse zum Ausdruck zu bringen. Zu Beginn dieser Form der Arbeit wählte Bert Hellinger selber nur erfahrene Aufsteller als Stellvertreter aus, da dieses neue Terrain erst einer erfahrungsmäßigen Absicherung bedurfte.
Mit zunehmender Sicherheit im Umgang damit konnte der Leiter dann jeden Anwesenden als Stellvertreter einsetzen und gegebenenfalls eine Bewegung, die sich jemand nicht getraute, auszudrücken, unterstützen oder durch den Vorschlag passender Sätze die zugrunde liegende Dynamik in den Raum holen.
Die besondere Anforderung an den Leiter bei dieser Form der Arbeit ist es, sich mit seinem Eingreifen einerseits viel weiter zurückzunehmen als bei den klassischen Aufstellungen, dabei jedoch die ganze Zeit über in innerer Resonanz mit dem sich entfaltenden Geschehen zu bleiben. Er muss erkennen, ob es sich bei dem Bewegungs-Geschehen darum handelt, eine in der Familienvergangenheit seither vermiedene Dynamik zu ihrer Geltung zu verhelfen oder ob eine Tendenz des Ausweichens und neuerlichen Zu-deckens raum greifen will. An diesen Stellen greift der Leiter korrigierend ein und stellt gegebenenfalls noch wichtige fehlende Personen hinzu.
Durch diese Form des Familienstellens kann auch verlorengegangenes Wissen wieder an die Oberfläche treten oder gehütete Geheimnisse können sich zeigen. Eine stimmige und angemessene Lösung zeigt sich schließlich an ihren Wirkungen und oftmals auch nicht unmittelbar. Als Klient lässt man sich von den in Erscheinung getretenen Bildern bewegen und, in Resonanz mit der eigenen Seele und der Familienseele, zeigt sich schließlich das stimmige Bild.
In dieses Resonanzgeschehen gehört auch die gar nicht so seltene Erfahrung, dass sich, im Anschluss an eine Aufstellung, Familienmitglieder melden, zu denen schon viele Jahre kein Kontakt mehr bestand.
Die Bewegungen des Geistes
Kennzeichnend für Bert Hellingers Arbeitsweise ist es, neue Erfahrungsfelder auszuloten und den entsprechenden Erfahrungsraum zu erkunden. Daraus entstehen dann nach einer Zeit neue Dimensionen. So vollzog sich der Übergang von den Bewegungen der Seele zu den Bewegungen des Geistes allmählich. Dazu Bert Hellinger selbst: „Aber, wie es so ist im Leben, nichts bleibt stehen.
Ich hatte mir schon gedacht, das Gehen mit der Seele, das ist es vielleicht. Aber es ist es noch nicht. Plötzlich habe ich gemerkt, dass die Erfahrungen, die wir mit dem Familienstellen und mit den Bewegungen der Seele gemacht haben, zu Erkenntnissen ganz anderer Art führen, und dass diese Erkenntnisse von uns ein Handeln erfordern, das weit über das hinausgeht, von dem ich bisher gedacht habe, dass es gut und richtig sei.
(…) Ich erläutere das an einem Beispiel. Jemand beschwert sich über seine Eltern oder er beklagt, was er in der Kindheit an Schlimmem erlebt hat. Ursprünglich hatten wir Mitleid mit diesem Klienten und haben gedacht: „Dem helfen wir mal“. Wenn ich aber vom Geist her denke, gibt es nichts Schlimmes.
Wenn hinter allem eine schöpferische Kraft wirkt, gibt es nichts, was ihr entgegenstehen kann. … Diese Kraft ist..allem gleichermaßen zugewandt. Ich verbinde mich mit dieser Kraft. … Weil ich mit diesem Gehen mit dem Geist auch eine schlimme Situation ganz anders anschauen kann, helfe ich dem anderen, sie ebenfalls anders anzuschauen. Dann kann er zum Beispiel auch dem Schlimmen zustimmen und es nehmen als eine Kraft.“ (zitiert aus Hellinger-Zeitschrift 12/2005, S.19 f).
Durch diese Form des Familienstellens kann auch verlorengegangenes Wissen wieder an die Oberfläche treten oder gehütete Geheimnisse können sich zeigen.